Dieser Tag wird in mehrfacher Hinsicht für mich der Höhepunkt der Reise werden. Als wir morgens um sechs unser Quartier verlassen, haben wir noch nicht wirklich eine Ahnung von dem, was uns an diesem Tag erwarten wird. Wir schließen zunächst zum Schäfer auf, um gemeinsam mit ihm und der Herde den Abano-Pass zu bezwingen. Relativ schnell wird deutlich, dass unsere größte Herausforderung das Wetter sein wird. Es regnet, unablässig, und es wird im Laufe des Tages nicht besser werden. Zunächst beginnt unsere Wanderung gemächlich, mit viel He und Ho beteiligen wir uns lebhaft daran, die Schafe den Berg hinauf zu treiben. In unzähligen Serpentinen schraubt sich die Straße nach oben. Die Vegetation wird überschaubarer, die Luft dünner. Und so ganz allmählich wird aus dem Regen Schnee. Und zum ersten Mal auf dieser Reise zu den Schafen bekomme ich ein Gefühl für den Ernst der Angelegenheit, der wir hier beiwohnen. Denn nicht nur wir kämpfen mit den widrigen Bedingungen, sondern auch die Tiere. Im dichten Nebel wird es immer schwieriger, die Herde beieinander zu halten. Immer wieder treffen wir auf andere Hirten mit ihren Herden. Ein Kalb legt sich einfach auf die Straße während die Kuhherde weiter vorantrottet. Und der Hirte steht hilflos daneben. Er kann das Kalb nicht mitnehmen aber auch nicht zurücklassen. Ich denke, das Kalb wird den Pass nicht zu sehen bekommen haben. Und wir sind plötzlich nicht nur Mitreisende, sondern unsere Hilfe wird für die Hirten wichtig.
Den Pass auf 2926m Höhe erreiche ich pitschnass, durchgefroren und ziemlich erschöpft. Die Aussicht ist grau und trüb und reicht keine 50 Meter. Der eigentliche Höhepunkt der Wanderung, aber ich will einfach nur weiter, zu sehen gibts eh nichts und für die Schäfer ist die Überquerung des höchsten georgischen Passes im Kaukasus auch kein Anlass um sich auszuruhen. Doch mit dem Abstieg wird es unerwartet besser. Ganz allmählich läßt der Schnee nach, die Sicht wird weiter. Die Hirten verlassen die Straße und uns und steigen auf direktem Weg den Hang hinunter ins Tal. Und dann erste Zeichen von Sonne, ganz langsam reißt der Himmel auf und gibt die Sicht auf die fantastische Landschaft wieder frei. Alles ist nass und kalt, und zum ersten Mal seit ich sie habe, verweigert die Kamera immer wieder ihren Dienst, denn auch sie konnte der Feuchtigkeit nicht vollständig widerstehen. Unser Ziel ist eine Hütte an der Strasse, wo die Fahrzeuge uns in Empfang nehmen werden.
In der Nähe der Hütte, irgendwo im georgischen Nirgendwo befindet sich ein marodes Hotel. Und dort wartet auf uns etwas völlig unerwartetes: Aus den Bergen kommt eine heiße Schwefelquelle, und während das Hotel so langsam vor sich hin verfällt erwartet uns nebenan ein nagelneuer Pool voll heißem Schwefelwassers mit einer fantastischen Aussicht. Nach den Strapazen dieses Tages kann eigentlich nichts willkommener sein. Und doch hat die ganze Situation irgendwas skurriles, unwirkliches.
Die Autos bringen uns zurück in die Zivilisation, nach Inalko in der Nähe von Telavi. Dort verbringen wir eine Nacht in einem „richtigen“ Hotel mit Swimmingpool und Sauna und ruhen uns aus für den nächsten Tag, an dem wir einmal so richtig Tourist sein dürfen.
Aufgenommen am 02. Oktober 2013, Canon EOS 7d mit Canon EF-S 18-135mm
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